Othmar Schoeck - Besuch in Urach
Othmar Schoeck - Besuch in Urach
Sommernacht; Sonate für Bassklarinette und Orchester; Penthesliea-Suite; Besuch in Urach
"Schoeck war ein genialer Musik-Entwerfer. Seine Opern Venus und Schloss Dürande hatte er weitgehend w ie im Fieber fertigkomponiert, bevor überhaupt die Libretti vorlagen. Solch phänomenales Tonmeisseln will direkt zum Kern, zum Wesentlichen und Eigentlichen vordringen. Die Feinjustierung, das perfekt sitzende Kleid, ist dabei eher nebensächlich. Deswegen lassen sich viele Werke Schoecks leicht bearbeiten oder instrumentieren, solange man nur das feurige Zentrum schützt. Das für das Berner Symphonieorchester geschriebene Kleinod Sommernacht erklingt in einer Fassung für Soli und grosses Streichorchester. Ein wenig liebäugelt es mit Schönbergs Verklärter Nacht, ohne jedoch in vergleichbare harmonische und radikale Räume vorzustossen. Naturlaute wie Vogelgesang und Glockenläuten, eine ferne Akkordeonerinnerung, Sternenfunkeln und Menschenrufe betten sich in ein musikalisches Material, das 1945 im Jahre der Uraufführung schon längst nicht mehr in Mode war. Wie in anderen Werken jedoch gelingt es Schoeck aber auch hier, mit solchen, an sich rückwärtsgewandten Techniken etwas ganz Eigenes, Ungehörtes und Zeitloses zu formulieren. So leuchten Elemente aus den Klangwelten der Serenaden Brahms’ und Lieder Hugo Wolfs auf, als wären sie eben gerade hierfür erfunden worden und als hätte man das alles so noch nie gehört. Zudem wird in den Brüchen hörbar, dass wir uns eben doch im Jahre 1945 befinden. Es ist nun mal so, dass sich Othmar Schoeck nur auf den ersten Blick bürgerlich gibt, sich aber in jedem Gewand als sperriger Revolutionär entpuppt – als Wolf im Schafspelz" (Mario Venzago).
Komponist
Othmar Schoeck
Solisten
Rachel Harnisch, Sopran; Bernhard Röthlisberger, Bassklarinette; Berner Symphonieorchester; Mario Venzago, Leitung.
CD order number
MGB 6281
Paul Hindemith
Das Marienleben
Rachel Harnisch, JAN PHILIP SCHULZE
Gar dicht gesät sind sie ja nicht, die Aufnahmen eines der wohl aufregendsten Liedzyklen der Musikgeschichte. Paul Hindemith hatte sein „Marienleben“ nach Gedichten von Rainer Maria Rilke 1923 geschaffen und 1948 revidiert. Er wollte den Gesang enger an den Text und die Klavierstimme anpassen und den Zyklus stilistisch einheitlicher gestalten. Genau in letzterer Version hat Naxos dieses schwierig zu singende Wunderwerk an der Schnittstelle von Expressionismus zu Impressionismus, changierend zwischen straffer Form und irdischer Sinnlichkeit mit zwei idealen Künstlern aufgenommen. Entstanden ist die Aufnahme im Mai 2014 im Radiostudio DRS in Zürich.
Die große Überraschung der CD ist die Schweizerin Rachel Harnisch, die auf Anhieb wohl die neue Referenz des Marienlebens vorgelegt hat. Frau Harnisch verfügt über einen expansionsfähigen lyrischen Sopran mit Spinto-Anflügen. Der in den verschiedenen Stimmungen der 15 Lieder farbenvoll und bisweilen dramatisch rauschhaft aufblühende Sopran leuchtet warm und cremig. Bruchlos führt Harnisch die Stimme von der quellklaren Tiefe bis hin zu wunderbar luxuriösen in der Kuppel gesungene Höhen. Sperrige Intervallsprünge und vokale Klippen der Partitur meistert sie voller Eleganz und ganz in einen natürlichem Stimmfluss eingebunden. Trotz der stets in Wohlklang geformten Gesangslinie leidet darunter die Textverständlichkeit nicht. Sowohl die Dramatik in der „Rast auf der Flucht nach Ägypten“, die narrative Konkretisierung in der „Hochzeit zu Kana“ als auch elegischen Verse in den letzten Liedern rund um den Tod Marias fasst Harnisch in musikalische Art Deco Juwelen, ohne den übergeordneten Bogen aus den Augen zu verlieren. Stupend. Liedkunst, die keine Vergleiche zu scheuen braucht.
Ihr Opernrepertoire reicht von der Pamina, der Figaro Gräfin bis hin zur Antonia in Hoffmanns Erzählungen und der Emilia in der Sache Makropoulos. Sie war wohl ein Liebling des späten Claudio Abbado, der sie als Marzelline im Fidelio mit Jonas Kaufmann holte, und als Solistin bei den Salzburger Festspielen 2012 (Schuberts Es-Dur Messe, Mozarts Waisenhausmesse) engagierte. Außerdem hat er mit ihr Pergolesis Stabat Mater und dessen Messa di San Emidio eingespielt.
Begleitet wird Rachel Harnisch von Jan Philip Schulze, der für einen straff expressiven, erzählerisch gelaunten Klavierpart sorgt. Die in vier deutlich voneinander getrennte Gruppen angelegten Lieder verlangen dem Pianisten ebenso wie der Sopranistin einiges an technischer Kunst ab. Das Klavier umkreist und schmückt den vokalen Part in wilden Variationen, mit eigensinnigen Ornamenten und auch dissonanter Kommentierung. Schulze ist der Sängerin ein ebenbürtiger Partner, mit der Einschränkung, dass er das Pedal teils doch weniger exzessiv einsetzen hätte können. Da hätte er sich doch die eine oder andere Anleihe beim knackigeren Spiel Glenn Goulds nehmen können, der die erste Fassung des Zyklus beispielhaft mit Roxolana Roslak eingespielt hat.
Die neue Aufnahme insgesamt ist eine willkommene und qualitätsvolle Bereicherung der Hindemith-Diskographie, dessen Marienleben-Lieder es mit den besten von Hugo Wolf aufnehmen können.
Dr. Ingobert Waltenberger