Sopranistin Rachel Harnisch

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Interview mit NZZ am Sonntag

«Muss ich meinen Rücken auf Facebook zeigen?»

Kaum haben wir uns verabschiedet, schickt Rachel Harnisch eine Zugabe per E-Mail mit einem Zitat von Maria Callas. Es ist ein Bekenntnis der Jahrhun- dertsopranistin, dass sie trotz grosser Ruhe oft von der zerstöreri- schen Kraft geplagt gewesen sei, nicht immer das Beste geben zu können. Die Stimme sei ein Geheimnis voller dunkler Überraschungen, es bleibe vor dem Auftritt nichts anderes übrig, als Gott zu vertrauen.

Wer mit Harnisch über die Oper und folglich über Triumphe und Tragödien dis- kutiert hat, weiss, warum sie gerade diese Callas-Worte zu Tränen rühren: Harnisch will mehr als singen, will sich trotz ihrem marienhaft schönen Timbre der Musik opfern. Ihre vermeintlichen Unsicherheiten sind bisweilen bezaubernd: Wenn in schwindelerregender Höhe ein Ton ange- sungen und zum Schweben gebracht  wird, ist längst noch nicht ganz klar, ob es ein süsser Freudenlaut oder ein bitterer Klage- ton wird – ob Glück lacht oder Unglück droht. Grosse Gesangskunst sucht diese Schwierigkeit, wandelt auf diesem Grat, als sei er ein breiter Wall.

Doch bei allen veilchenduftenden Worten, die man über diese Sängerin erfin- den könnte, bekennt sie selber nüchtern:

«Die Bühne ist ein Arbeitsplatz und kein Heiligtum. Ich darf wunderschöne Musik reproduzieren, aber das ist nicht heiliger als die Leistung eines Arztes. Im Gegenteil.» Damit entfernt sie sich erfreulich weit vom viel zu oft zelebrierten Bild der Diva, an das keiner glaubt, der Einblick in den Betrieb hat. Der tägliche Kampf um Jubel und um Rollen gehört zu Harnischs Beruf. Wer über 40 Jahre alt ist und nicht Anna Netrebko heisst, gilt in der Szene als alt, wartet – und hofft auf Angebote. Annehmen? Ablehnen? Wieder am Scheideweg stehen?

Sänger als Marionetten

All das beschäftigt die 44-jährige Rachel Harnisch stark, eine Sängerin, die in Mai- land, Paris und Berlin gearbeitet hat. Doch auch solche Sänger können ihre Karriere nicht selber planen, obwohl es die Rollen der sich verändernden Persönlichkeit und Stimme anzupassen gälte. In der Opernwelt bestimmt selbst der Direktor des Klein- stadttheaters über das Leben seiner Ensem- blemitglieder. Auf dem freien Sängermarkt, wo sich Harnisch bewegt, ist es noch heik- ler. «Sänger sind Marionetten geworden», sagt sie trocken und fügt an: «Das erkennt man leider auch an der Qualität.» Wichtig für eine Opernproduktion sei es, wer insze- niere und was rundherum passiere. Wer dirigiere, sei schon weniger wichtig. «Und dann besetzt man die Hauptrolle noch mit einer 25-jährigen Russin, die gerade fünf Wettbewerbe gewonnen hat. Der Bonbon- Topf ist riesig, aber dort drin ist vieles ziemlich gleich. Der Mensch oder der Künstler hinter der Stimme interessiert immer weniger. Ein Sänger, der nur Sänger ist, langweilt mich.»

Wer ihr entgegnet, dass sich bestimmt jeder Regisseur der Welt darauf freue, mit ihr zu arbeiten, erntet ein: «Vielleicht, aber keiner setzt Himmel und Hölle in Bewe- gung, nachdem man mit ihm gearbeitet hat. Berühmte Regisseure haben ihre Kalender voll, nehmen jene Sänger an, die ihnen vorgesetzt werden, oder sagen halt mal: ‹Nein, die nicht›.»

So sind es denn die Agenturen, die eine Sängerin an die grossen Häuser zu bringen